(Beachten Sie bitte, dass es sich bei den Meldungen und Entscheidungen, Aktuelles zum Strafrecht 2015, in der Regel um Einzelfallentscheidungen handelt. Diese sind nicht ohne weiteres auf andere Fälle übertragbar und können eine Rechtsberatung im konkreten Einzelfall nicht ersetzen!)
Eilkompetenz der Ermittlungsbehörden für die Anordnung einer Durchsuchung endet mit der Befassung des zuständigen Ermittlungsrichters
Die Eilkompetenz der Ermittlungsbehörden für die Anordnung einer Durchsuchung endet mit der Befassung des zuständigen Ermittlungs- oder Eilrichters und der dadurch eröffneten Möglichkeit präventiven Grundrechtsschutzes. Dies gilt nach einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 16.06.2015 auch dann, wenn der Richter eine Entscheidung wegen fehlender schriftlicher Informationen nicht treffen will. Drei Verfassungsbeschwerden gegen die gerichtliche Bestätigung staatsanwaltschaftlicher Durchsuchungsanordnungen hatten deshalb vor dem Bundesverfassungsgericht Erfolg (Az.: 2 BvR 2718/10, 2 BvR 2808/11 und 2 BvR 1849/11).
Gemäß Art. 13 Abs. 2, 2. Halbsatz GG könnten Durchsuchungen bei Gefahr im Verzug auch durch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen angeordnet werden. Der Begriff „Gefahr im Verzug“ ist nach dem Beschluss des BVerfG allerdings eng auszulegen und nur anzunehmen, wenn die richterliche Anordnung nicht mehr eingeholt werden kann, ohne dass der Zweck der Maßnahme – regelmäßig die Sicherstellung von Beweismitteln – gefährdet wird. Könne hingegen der Richter mit dem Durchsuchungsbegehren befasst werden und über dieses entscheiden, ohne dass damit ein Risiko des Verlustes von Beweismitteln verbunden ist, sei für einen Rückgriff auf die Eilkompetenz der Strafverfolgungsbehörden kein Raum.
Besitz kinderpornographischer Bilder oder Videodateien kann bei Polizeibeamten die Entfernung aus dem Dienst rechtfertigen
Der außerdienstliche, d.h. der private Besitz von kinderpornographischen Bild- oder Videodateien hat bei Polizeibeamten wegen ihres Amtes und des in sie gesetzten Vertrauens stets den für eine disziplinarische Ahndung erforderlichen Amtsbezug. Der Orientierungsrahmen für die Bemessung der Disziplinarmaß-nahme ist in solchen Fällen bis zur Höchstmaßnahme eröffnet, kann also zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis führen (Bundesverwaltungsgericht, 18.06.2015, Az.: 2 C 9.14, 2 C 19.14, 2 C 25.14).
Verfahren nach beschränktem Einspruch gegen einen Strafbefehl
Gegen einen Strafbefehl kann Einspruch eingelegt werden. Der Einspruch gegen den Strafbefehl kann sich gegen den Strafbefehl insgesamt richten oder auch gegen die im Strafbefehl ausgesprochene Strafe. Üblicherweise kommt es dann zu einer Hauptverhandlung. Wird der Einspruch aber auf die Höhe der Tagessätze einer festgesetzten Geldstrafe beschränkt, kann das Gericht mit Zustimmung des Angeklagten, des Verteidigers und der Staatsanwaltschaft ausnahmsweise auch ohne Hauptverhandlung durch Beschluss entscheiden (§ 411 Abs. 1 S. 3 StPO). Ist der Einspruch gegen einen Strafbefehl nur auf die Gewährung einer Zahlungserleich-terung, in der Regel Ratenzahlung, nach § 42 StGB gerichtet, kann ebenfalls gemäß § 411 Abs. 1 S. 3 StPO ohne Hauptverhandlung durch Beschluss entschieden werden, wenn die notwendigen Zustimmungen dafür vorliegen. Das Beschlussverfahren nach § 411 Abs. 1 Satz 3 StPO ist anders als sein Wortlaut nahelegt nicht auf die Entscheidung über die Höhe der Tagessätze beschränkt (Amtsgericht Kehl, 17.06.2015, Az.: 3 Cs 208 Js 18057/14).
Freiheitsstrafe trotz Mutterschaft
Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, dass der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Dabei sind namentlich die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind. Das Gericht kann unter denselben Voraussetzungen auch die Vollstreckung einer höheren Freiheitsstrafe, die zwei Jahre nicht übersteigt, zur Bewährung aussetzen, wenn nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände vorliegen. Bei der Entscheidung ist namentlich auch das Bemühen des Verurteilten, den durch die Tat verursachten Schaden wiedergut-zumachen, zu berücksichtigen (§ 56 Abs.1, 2 StGB). Die Mutterrolle alleine und Verantwortung für ein Kind ist keine Garantie dafür, dass eine notorische Einbrecherin zukünftig keine Straftaten mehr begeht; die Verhängung einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung (hier: Jugendstrafe von 1 Jahr und 9 Monaten wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls) ist dann möglich (Amtsgericht München, 11.06.2015, Az.: 1034 Ls 468 Js 19228/14).
Beweiswürdigung bei Trunkenheit im Verkehr
Wer vorsätzlich oder fahrlässig im Verkehr ein Fahrzeug führt, obwohl er infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft (§ 316 StGB). Eine Strafbarkeit wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr setzt zumindest voraus, dass der Fahrzeugführer seine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit kennt oder zumindest mit ihr rechnet und sich damit abfindet. Maßgeblich ist, ob der Fahrzeugführer eine so gravierende Beeinträchtigung seiner Leistungsfähigkeit zumindest für möglich hält und sich mit ihr abfindet oder billigend in Kauf nimmt, dass er den im Verkehr zu stellenden Anforderungen nicht mehr genügt. Zwar gibt es keinen naturwissenschaftlich oder medizinisch gesicherten Erfahrungssatz, dass derjenige, der eine Alkoholmenge trinkt, die zu einer die Grenze der absoluten Fahruntüchtigkeit übersteigenden Blutalkoholkonzentration führt, d.h. 1,1 Promille, seine Fahruntüchtigkeit auch erkennt. Bei Prüfung der Frage, ob ein Fahrzeugführer den Tatbestand des § 316 StGB bedingt vorsätzlich verwirklicht hat, ist aber eine solche Blutalkoholkonzentration ein gewichtiges Beweisanzeichen für das Vorliegen vorsätzlichen Handelns. Die Annahme, dass eine Blutalkoholkonzentration umso eher für eine vorsätzliche Tat spricht, je höher sie ist, ist möglich (Bundesgerichtshof, 09.04.2015, Az.: 4 StR 401/14).
Opferrechte werden gestärkt
Das kündigt sie im Zusammenhang mit der Umsetzung einer EU-Richtlinie in ihrem Entwurf für ein drittes Opferrechtsreformgesetz (BT-Drs. 18/4621). Dazu gehören unter anderem Ergänzungen im Ersten und Zweiten Buch der Strafprozessordnung wie erweiterte Informationsrechte von Verletzten bei Anzeigenerstattung und eine neue Ausgangsnorm für die besondere Schutzbedürftigkeit von Verletzten. Die Richtlinienumsetzung im Bereich des Opferschutzes solle darüber hinaus zum Anlass genommen werden, die in der Justizpraxis bereits bewährte psychosoziale Prozessbegleitung im deutschen Strafverfahrensrecht zu verankern. Außerdem solle mit dem Gesetz auch den Anforderungen eines Übereinkommens des Europarates zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch nachgekommen werden, schreibt die Bundesregierung.
(Quelle: hib – heute im Bundestag Nr. 204 v. 21.04.2015)
Kollektivbeleidigung nur unter engen Voraussetzungen strafbar
Die Beleidigung wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe und, wenn die Beleidigung mittels einer Tätlichkeit begangen wird, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft (§ 185 StGB). Eine „Kollektivbeleidigung“ ist aber nur bei Bezug zu einer hinreichend überschaubaren und abgegrenzten Personengruppe strafbar. Dementsprechend ist das Tragen eines mit der Buchstabenkombination „FCK CPS“ beschrifteten Ansteckers im öffentlichen Raum vor dem Hintergrund des Grundrechts auf Meinungsfreiheit nicht ohne weiteres strafbar (Bundesverfassungsgericht, 26.02.2015, Az. 1 BvR 1036/14).
Pflichtverteidigerbestellung (rückwirkende/konkludente)
Die rückwirkende Bestellung eines Strafverteidigers ist unzulässig (der Antrag muss während des Verfahrens gestellt werden).
Übergeht das Gericht einen deutlichen und unübersehbaren Beiordnungsantrag des Verteidigers und lässt es seine Mitwirkung in der Folge ohne Hinweis auf ein eigenes Kostenrisiko zu, so kann eine schlüssige Bestellung ab dem Zeitpunkt der Antragstellung vorliegen.
Die stillschweigende Bestellung kann nachträglich festgestellt werden (Oberlandesgericht Stuttgart, Beschluss vom 25.02.2015, Az.: 1 ARs 1/15).
Auskunft über Kontostammdaten zur Aufklärung der Vermögensverhältnisse zulässig
Ein Ersuchen an die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) um Auskunft über Kontostammdaten zur Aufklärung der Vermögensverhältnisse eines Beschuldigten im Strafverfahren ist zulässig, auch wenn es (nur) zur Aufklärung der Vermögensverhältnisse des Beschuldigten, soweit sie für die Rechtsfolgen von Bedeutung sind, z.B. für die Tagessatzhöhe bei einer Geldstrafe, erfolgt (Oberlandesgericht Stuttgart, 13.2.2015, Az. 4 Ws 19/15).
Schenkungssteuerhinterziehung
Die in einer Schenkungsteuererklärung enthaltene unzutreffende Angabe, vom Schenker keine Vorschenkungen erhalten zu haben, stellt sowohl für die Besteuerung der Schenkung, auf die sich die Erklärung bezieht, als auch für diejenige der Vorschenkungen eine unrichtige Angabe über steuerlich erhebliche Tatsachen im Sinne von § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO (Steuerhinterziehung) dar. Eine hierdurch im Hinblick auf eine Vorschenkung begangene Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) ist gegenüber einer zuvor durch Unterlassen für diese Schenkung begangenen Hinterziehung von Schenkungsteuer (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) mitbestrafte Nachtat, deren Straflosigkeit entfällt, wenn die Vortat nicht mehr verfolgbar ist (Bundesgerichtshof, 10.02.2015, Az.: 1 StR 405/14).
Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Adhäsionsverfahren
Der Verletzte, wie etwa auch der Nebenkläger, oder sein Erbe kann gegen den Beschuldigten einen aus der Straftat erwachsenen vermögensrechtlichen Anspruch, der zur Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte gehört und noch nicht anderweit gerichtlich anhängig gemacht ist, im Strafverfahren (hier: wegen versuchten Totschlags) geltend machen (sog. Adhäsionsverfahren, §§ 403 ff. StPO). Sowohl dem Antragsteller als auch dem Beschuldigten als Antragsgegner ist – ausnahmsweise im Bereich des Strafrechts – auf Antrag Prozesskostenhilfe (PKH) nach denselben Vorschriften wie in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten zu bewilligen, sobald die Klage erhoben ist. Ein PKH-Antrag muss gegebenenfalls für jede Instanz neu gestellt werden. Eine diesbezügliche Entscheidung kann in der Regel nur bis zum Schluss der jeweiligen Instanz ergehen, also z.B. bis zum rechtskräftigen Abschluss des Revisionsverfahrens. Wird der ordnungsgemäße Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Verfahren übersehen, kann ausnahmsweise auch noch nachträglich darüber entschieden und PKH bewilligt werden (Bundesgerichtshof, 14.01.2015, Az.:. 5 StR 196/14).
Die “nicht geringe Menge” bei synthetischen Cannabinoiden
Die – geringe oder nicht geringe – Menge von Betäubungsmitteln ist für die bei Betäubungs-mitteldelikten zu erwartende Strafe maßgeblich ausschlaggebend. Nachdem für viele Betäubungsmittel die Grenzwerte zur nicht geringen Menge seit Langem in der Rechtsprechung feststehen, z.B. 7,5 g THC bei Cannabis, 1,5 g Heroinhydrochlorid bei Heroin oder 5,0 g Metamfetaminbase bzw. 6,2 g Methamphetaminhydrochlorid bei Crystal, hat sich der Bundesgerichtshof nun mit den Grenzwerten für synthetische Cannabinoide, wie sie etwa in Kräutermischungen („legal highs“) anzutreffen sind, beschäftigt. Der Bundesgerichtshof hat den Grenzwert der nicht geringen Menge für die synthetischen Cannabinoide JWH-018 und CP 47,497-C8-Homologes auf eine Wirkstoffmenge von 2,0 g festgesetzt. Für die Wirkstoffe JWH-073 und CP 47,497 wird Grenzwert der nicht geringen Menge jedenfalls bei einer Wirkstoffmenge von 6,0 g erreicht (Bundesgerichtshof, 14.01.2015, Az. 1 StR 302/13).
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