(Beachten Sie bitte, dass es sich bei den Meldungen und Entscheidungen, Aktuelles zum Strafrecht 2014, in der Regel um Einzelfallentscheidungen handelt. Diese sind nicht ohne weiteres auf andere Fälle übertragbar und können eine Rechtsberatung im konkreten Einzelfall nicht ersetzen!)
Insolvenzverschleppung durch den faktischen Geschäftsführer einer GmbH
Wird eine juristische Person zahlungsunfähig oder überschuldet, haben die Mitglieder des Vertretungsorgans (bei einer GmbH: Geschäftsführer) oder die Abwickler ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, einen Insolvenzeröffnungsantrag zu stellen (§ 15a Abs. 1 S. 1 InsO). Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer entgegen dieser Verpflichtung einen Eröffnungs-antrag nicht, nicht richtig oder nicht rechtzeitig stellt (§ 15a Abs. 4 InsO). Die Vorschrift des § 15a gilt im Falle einer GmbH aber nicht nur für den rechtlichen Geschäftsführer, sondern auch für den faktischen Geschäftsführer. Der faktische Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung kann Täter einer Insolvenzverschleppung nach § 15a Abs. 4 InsO sein (Bundesgerichtshof, 18.12.2014, Az.: 4 StR 323/14 u. 4 StR 324/14).
Vorübergehender Gewahrsam: Rückgabe von möglichen Beweismitteln nach Abschluss des Strafverfahrens
Die Staatsanwaltschaft ließ im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens gegen einen Mann wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz die Wohnung durchsuchen. Dabei wurde in der Küche Bargeld in Höhe von 42.300 EUR gefunden. Das Geld wurde als Beweismittel sichergestellt, beschlagnahmt und auf ein Konto der Landesjustizkasse eingezahlt. Der Mann wurde schließlich zu einer Haftstrafe von 13 Jahren verurteilt und der sogenannte Wertersatzverfall i.H.v. 30.500 EUR angeordnet. Die Staatsanwaltschaft ordnete zum sichergestellten Betrag die Aufrechnung dessen mit den Verfahrenskosten des Strafverfahrens und dem Wertersatzverfall an. Damit war die Ehefrau des Mannes jedoch nicht einverstanden. Sie behauptete, nicht ihr Mann, sondern sie sei Eigentümerin des Geldes gewesen. Die Hälfte des Geldes erhielt sie zurück, den Rest in Höhe von 21.150 EUR klagte sie ein.
Schließlich landete der Rechtsstreit beim Bundesgerichtshof. Dieser urteilte, dass die Beschlagnahme mit Abschluss des Strafverfahrens endete. Das Geld muss zurückgegeben bzw. ein entsprechender Wertersatz geleistet werden, weil es nur als mögliches Beweismittel beschlagnahmt wurde. Weder war der Verfall angeordnet worden – was den Nachweis vorausgesetzt hätte, dass das Geld den Straftaten entstammte – noch ist eine Pfändung des Geldes erfolgt. Im Grundsatz ist es nicht die Aufgabe des Strafverfahrens, die Eigentums- und Besitzverhältnisse an Sachen, die für die Zwecke des Verfahrens vorübergehend in amtlichen Gewahrsam gebracht worden sind, unter den Beteiligten zu regeln. Die Aufteilung im Innenverhältnis ist allein Sache der Eheleute. Infolgedessen ist die Aufrechnung der Staatsanwaltschaft mit den nur vom Ehemann geschuldeten Kosten des Strafverfahrens und dem Wertersatzverfall erfolglos.
Hinweis: Da bei der Rückgabe der im Zeitpunkt der Beschlagnahme bestehende Zustand wiederherzustellen ist, kann die Zahlung auch nur an die Eheleute gemeinsam erfolgen (Bundesgerichtshof, Urteil vom 14.11.2014, Az.: V ZR 90/13).
Sexueller Missbrauch von Kindern
Es ist zur Erfüllung des objektiven Tatbestandes des § 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB ausreichend, dass die sexuelle Handlung von dem Kind zeitgleich akustisch (hier: über Telefon) wahrgenommen wird (Bundesgerichtshof, 21.10.2014, Az. 1 StR 79/14).
Anspruch der Presse auf Kenntnis der Namen von Prozessbeteiligten
Einem Auskunftsersuchen der Presse, das auf Mitteilung der Namen von Personen gerichtet ist, konkret die Namen von Berufsrichter, Schöffen, Vertreter der Staatsanwaltschaft, Verteidiger, Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, die in einem Strafprozess mitgewirkt haben, ist regelmäßig stattzugeben. Das Persönlichkeitsrecht dieser Personen muss hinter dem grundrechtlich geschützten Auskunftsinteresse der Presse zurückstehen (Bundesverwaltungsgericht, 01.10.2014, Az. 6 C 35.13).
Freiheitsberaubung durch Polizeibeamten
Hat es der hierfür verantwortliche Polizeibeamte unterlassen, nach einer ohne richterliche Entscheidung erfolgten Ingewahrsamnahme oder Festnahme, an der er selbst nicht beteiligt war, die für die Fortdauer der Freiheitsentziehung erforderliche unverzügliche Vorführung beim Richter vorzunehmen bzw. die für sie gebotene richterliche Entscheidung unverzüglich herbeizuführen, ist dies geeignet, den Vorwurf der Freiheitsberaubung gemäß § 239 StGB durch Unterlassen zu begründen (Bundesgerichtshof, Urteil vom 04.09.2014 – Az.: 4 StR 473/13).
Strafaussetzung zur Bewährung: Vorstrafen und Bewährungsversagen
Vorstrafen und Bewährungsversagen schließen eine erneute Strafaussetzung zur Bewährung nicht von vornherein aus. Ist der Angeklagte in der Vergangenheit einschlägig oder erheblich straffällig geworden und mussten hierbei Freiheitsstrafen verhängt werden, so kommt dieser Tatsache zwar bei der Prognose in erhöhtem Maße negative Bedeutung zu. die Indizwirkung kann jedoch entfallen, wenn nach Würdigung der Persönlichkeit des Angeklagten einschließlich seiner Beweggründe für die früheren Taten und deren Begleitumstände günstige Veränderungen in seinen Lebensumständen festgestellt werden, die geeignet sind, die Annahme künftigen Wohlverhaltens zu tragen (§ 56 StGB).
Oberlandesgericht Koblenz, Urteil vom 01.09.2014, Az.: 2 OLG 3 Ss 70/14
Polizeiliche Vernehmung: Kein Anwesenheitsrecht des Verteidigers
Bei polizeilichen Vernehmungen – auch bei Vernehmungen des Beschuldigten – hat der Verteidiger kein Anwesenheitsrecht. Das gilt auch für eine von der Polizei durchgeführte Wahllichtbildvorlage (Landgericht Düsseldorf, Beschluss vom 23.07.2014, Az.: 014 Qs 110 Js 1842114-28/14).
Beweiswürdigung bei “Aussage gegen Aussage”
In einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation müssen die für und gegen die Richtigkeit der Angaben des einzigen Belastungszeugen sprechenden Gesichtspunkte umfassend geprüft und gewürdigt und im Urteil wiedergegeben werden. Fehlt es an dieser umfassenden Würdigung, ist das Urteil im Revisionsverfahren aufzuheben (Oberlandesgericht Oldenburg, 07.07.2014, Az. 1 Ss 9/14).
Strafbarkeit des Drogenkuriers
Erschöpft sich der Tatbeitrag eines Drogenkuriers im bloßen Transport von Betäubungsmitteln, liegt nach der inzwischen gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs selbst dann keine Täterschaft vor, wenn ihm, Handlungsspielräume hinsichtlich der Art und Weise des Transports verbleiben. Eine Strafbarkeit kommt in solchen Fällen nur wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in Betracht. Eine andere strafrechtliche Bewertung kommt dann nur in Betracht, wenn der Kurier erhebliche, über den reinen Transport hinausgehende Tätigkeiten entfaltet, am An- und Verkauf unmittelbar beteiligt ist oder sonst ein eigenes Interesse am weiteren Schicksal des Gesamtgeschäfts hat, weil er eine Beteiligung am Umsatz oder dem zu erzielenden Gewinn erhalten soll (Bundesgerichtshof, 03.07.2014, Az. 4 StR 240/14).
Verwerfung der Revision auch ohne mündliche Verhandlung möglich
Die in der Strafprozessordnung in § 349 Abs. 2 eröffnete Möglichkeit, eine offensichtlich unbegründete Revision ohne mündliche Verhandlung und ohne nähere Begründung durch einstimmigen Beschluss zu verwerfen, ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Es ist von Verfassungs wegen auch nicht geboten, dass eine solche Entscheidung mit einer Begründung versehen wird. Dies hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts entschieden. Die Verwerfung der Revision nach § 349 Abs. 2 StPO widerspricht insbesondere auch nicht dem Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention – EMRK (Bundesverfassungsgericht, 30.06.2014, Az. 2 BvR 792/11).
Verbot der Veröffentlichung von Anklageschriften vor der Hauptverhandlung
Der Straftatbestand des § 353d Nr. 3 StGB, der unter anderem verbietet, eine Anklageschrift im Wortlaut öffentlich mitzuteilen, bevor sie in öffentlicher Verhandlung erörtert wurde, ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Dies hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts im Anschluss an einen Beschluss des Ersten Senats aus dem Jahr 1985 entschieden. In verfassungsgemäßer Weise soll § 353d Nr. 3 StGB nicht nur die Rechte des Angeklagten schützen, sondern auch verhindern, dass Verfahrensbeteiligte, insbesondere Schöffen und Zeugen, in ihrer Unbefangenheit beeinträchtigt werden. Die Strafnorm des § 353d Nr. 3 StGB verletzt auch in Fällen, in denen die Veröffentlichung mit dem Willen des Betroffenen erfolgt, nicht die Meinungsfreiheit oder das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Bundesverfassungsgericht, 27.06.2014, Az. 2 BvR 429/12).
Unbefugter Gebrauch eines Fahrzeugs, § 248b StGB
Wer ein Kraftfahrzeug oder ein Fahrrad gegen den Willen des Berechtigten in Gebrauch nimmt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften, z.B. Diebstahl oder Unterschlagung, mit schwererer Strafe bedroht ist (§ 248b StGB – Unbefugter Gebrauch eines Fahrzeugs). Die Ingebrauchnahme eines Fahrzeugs durch einen an sich Unberechtigten allein zum Zwecke der Rückführung an den Berechtigten ist regelmäßig von dessen mutmaßlichen Willen gedeckt und daher nicht tatbestandsmäßig im Sinne des § 248b StGB (Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24.06.2014, Az. 2 StR 73/14).
Anwendung von Erwachsenen- oder Jugendstrafrecht
Begeht ein Heranwachsender eine strafrechtliche Verfehlung (hier: Körperverletzung mit Todesfolge, § 227 StGB), die nach den allgemeinen Vorschriften, d.h. nach dem Erwachsenen-strafrecht insbesondere nach dem StGB, mit Strafe bedroht ist, so ist Jugendstrafrecht nach dem JGG anzuwenden, wenn die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters bei Berücksichtigung auch der Umweltbedingungen ergibt, dass er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand (§ 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG). Bei der Beantwortung der Frage, ob ein Heranwachsender bei seiner Tat im Sinn des § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG noch einem Jugendlichen gleichsteht, hat das Gericht einen erheblichen Beurteilungsspielraum. Für die Gleichstellung eines Heranwachsenden mit einem Jugendlichen im Sinne von § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG ist es nicht entscheidend, ob er das Bild eines noch nicht 18-jährigen bietet; vielmehr ist maßgebend, ob in dem Täter noch in größerem Umfang Entwicklungskräfte wirksam sind (Bundesgerichtshof, 20.05.2014, AZ. 1 StR 610/13).
Sexuelle Nötigung unter Verwendung eines gefährlichen Werkzeugs
Eine sexuelle Nötigung (§ 177 Abs. 1 StGB) wird mit Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr Dauer bestraft. Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet (§ 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB). Zur Verwirklichung des Tatbestands des Verwendens eines gefährlichen Werkzeugs bei einer sexuellen Nötigung i.S.d. § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB reicht es bereits aus, wenn der Täter das Werkzeug ohne Nötigungskomponente, sondern allein zur eigenen Luststeigerung im unmittelbaren Zusammenhang mit dem sexuellen Geschehen gegen das Tatopfer einsetzt (Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15.04.2014, Az. 2 StR 545/13).
Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit
Ein Richter kann gemäß § 24 Abs. 1, 2 StPO wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Sind Richterin und sachbearbeitender Staatsanwalt miteinander verheiratete, begründet dies, auch im Bußgeldverfahren, die Besorgnis der Befangenheit (Amtsgericht Kehl, vom 15.04.2014, Az. 5 OWi 304 Js 2546/14).
Schadenersatz bei Strafanzeige
Ein Schadensersatzanspruch ist immer dann ausgeschlossen, wenn die Erstattung einer unrichtigen Strafanzeige in gutem Glauben und daher nicht pflichtwidrig gestellt wurde. Liegt jedoch eine Pflichtwidrigkeit in der fehlerhaften Darstellung des Sachverhalts und erfolgt dies wissentlich oder leichtfertigt, so ist der Anstoß eines Ermittlungsverfahrens missbräuchlich und kann für den Anzeigenden zu einer Schadenersatzpflicht führen (Amtsgericht Ibbenbüren, Urteil vom 10.4.2014, Az.: 3 C 18/14).
Bloße Vermutungen rechtfertigen keine Wohnungsdurchsuchung
Bei einem Beschuldigten kann eine Durchsuchung der Wohnung und anderer Räume sowie seiner Person und der ihm gehörenden Sachen sowohl zum Zweck seiner Ergreifung als auch dann vorgenommen werden, wenn zu vermuten ist, dass die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln führen werde (§ 102 StPO). Angesichts des Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 und Abs. 2 GG) setzt die Durchsuchung den Verdacht einer Straftat voraus, der auf konkreten Tatsachen beruht; vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen reichen nicht (Bundesverfassungsgericht, 13.03.2014, Az. 2 BvR 974/12).
Pflicht zur unverzüglichen Löschung aufgezeichneter Telefonate zwischen Verteidiger und Beschuldigtem
Der Bundesgerichtshof hat die Beschwerde des Generalbundesanwalts gegen einen Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs als unbegründet verworfen, in dem dieser festgestellt hat, dass die Ermittlungsbehörden es rechtswidrig unterlassen haben, die automatisch gefertigte Aufzeichnung zweier Telefonate unverzüglich zu löschen, die ein Rechtsanwalt zur Anbahnung eines Mandatsverhältnisses mit einem Beschuldigtem geführt hatte (Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18. Februar 2014, Az.: StB 8/13 – PM 46/14).
Pflichtverteidiger: Schwere der Tat (§ 140 Abs. 2 StPO)
Ein Fall der wegen der Schwere der Tat notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 2 StPO liegt in der Regel bereits dann vor, wenn der Angeklagte in erster Instanz zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten ohne Bewährung verurteilt worden ist, nur er Berufung eingelegt hat und für den Fall seiner rechtskräftigen Verurteilung mit dem Widerruf einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von acht Monaten rechnen muss, die insgesamt drohende Freiheitsstrafe somit ein Jahr beträgt (Oberlandesgericht Nürnberg, Beschluss vom 16.1.2014, Az.: 2 OLG 8 Ss 259/13).
Anhörung des Nebenklägers vor der Einstellung eines Strafverfahrens
Dem Nebenkläger ist vor der endgültigen Einstellung eines Verfahrens (hier: wegen gefährlicher Körperverletzung) nach § 153a StPO jedenfalls dann rechtliches Gehör zu gewähren, wenn seine Auslagen entgegen § 472 Abs. 2 S. 2, Abs. 1 StPO nicht erstattet werden sollen (Oberlandesgericht Celle, Beschluss vom 14.01.2014, Az. 2 Ws 368/13).
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